DER BEGINN VON WEISHEIT
Eragons
Tage in Ellesméra gingen nahtlos ineinander über; in der
Kiefernstadt schien die Zeit keine Bedeutung zu haben. Es gab
keinen Jahreszeitenwechsel, selbst als die Tage länger wurden und
noch am Abend ein goldener Lichtschein den Wald durchströmte.
Frühlings-, Sommer-, Herbst- und Winterblumen blühten im Banne der
Elfenmagie, genährt von dem Zauber, der in der Luft lag.
Eragon liebte Ellesméra - die Schönheit und
Ruhe und die eleganten Häuser, die aus den Kiefern wuchsen, die
anrührenden Lieder, die in der Abenddämmerung erklangen, die
zahllosen Kunstwerke, die sich in den geheimnisvollen Wohnstätten
verbargen, doch vor allen Dingen die angenehme Gelassenheit der
Elfen und ihre ansteckende Heiterkeit.
Die wilden Tiere von Du Weldenvarden mussten
keine Angst vor Jägern haben. Manchmal schaute Eragon aus seinem
Baumhaus und sah, wie ein Elf einen Hirsch oder einen Graufuchs
streichelte oder einem schüchternen Bären, der durchs Unterholz
trottete und sich nicht zeigen wollte, etwas zuflüsterte. Einige
Tiere bekam man nie zu Gesicht. Sie kamen des Nachts, schlichen
grunzend zwischen den Bäumen umher und flohen, sobald Eragon sich
ihnen näherte. Einmal erhaschte er einen Blick auf eine Art
Pelzschlange. Ein anderes Mal beobachtete er eine weiß gewandete
Elfe, deren Körper plötzlich zerfloss und sich in den einer Wölfin
verwandelte.
Eragon und Saphira erkundeten Ellesméra,
sooft es ging. Sie waren entweder allein oder mit Orik unterwegs,
denn Arya wich Eragon aus. Tatsächlich hatte er nicht mehr mit ihr
gesprochen, seit sie das Wunschbild zerschmettert hatte. Ab und zu
sah er sie zwischen den Bäumen entlanghuschen, aber sobald er
versuchte, sich ihr zu nähern, um sich zu entschuldigen, eilte sie
weiter und ließ ihn unter den uralten Kiefern stehen. Schließlich
wurde Eragon klar, dass er etwas unternehmen musste, wenn er die
Freundschaft mit ihr erhalten wollte. So pflückte er eines Abends
einen bunten Blumenstrauß und ging zur Tialdarí-Halle, wo er sich
im Gemeinschaftssaal von einem Elf den Weg zu Aryas Quartier
beschreiben ließ.
Die Schiebetür stand offen, als er ihre
Gemächer erreichte. Er klopfte, doch niemand antwortete. Also ging
er hinein und horchte nach näher kommenden Schritten und sah sich
in dem geräumigen, mit Rankengewächsen geschmückten Wohnzimmer um,
von dem aus man auf einer Seite in ein kleines Schlafgemach und auf
der anderen in ein Arbeitszimmer gelangte. An der Wand hingen zwei
Wunschbilder: das Porträt eines ernst blickenden, silberhaarigen
Elfen, bei dem es sich, wie Eragon vermutete, wohl um König Evandar
handelte, und eines, das einen jüngeren, männlichen Elf zeigte, den
er nicht kannte.
Eragon schlenderte durch die Räume und
inspizierte alles, berührte aber nichts. Er genoss es, einen
Einblick in Aryas Leben zu bekommen und zu erfahren, was sie
interessierte und was sie in ihrer Freizeit tat. Neben ihrem Bett
sah er eine Glaskugel, in der die immer währende Blüte einer
schwarzen Prunkwinde lag. Auf dem Schreibtisch fanden sich
Schriftrollen mit Titeln wie »Osilon: Erntebericht« und »Um Gil’ead
beobachtete Aktivitäten«. Auf dem Sims eines offenen Erkerfensters
entdeckte Eragon drei winzige Bäume, die aussahen wie
Schriftzeichen der alten Sprache. Es waren die Glyphen für
»Frieden«, »Kraft« und »Weisheit«. Neben den Bäumchen lag ein
Zettel mit einem unvollendeten Gedicht. Einige Worte waren
ausgestrichen, daneben standen Korrekturen:
Unterm Mond so hell und
rein
Schimmert ein ruhiger, silbriger See,
Umgeben von Farnen und Sträuchern
Und schwarzen Kiefern.
Schimmert ein ruhiger, silbriger See,
Umgeben von Farnen und Sträuchern
Und schwarzen Kiefern.
Vom Himmel hernieder
fällt ein Stein
Und stört des Weihers nächtliche Ruh,
Umgeben von Farnen und Sträuchern
Und schwarzen Kiefern.
Und stört des Weihers nächtliche Ruh,
Umgeben von Farnen und Sträuchern
Und schwarzen Kiefern.
In silbernen Wellen ans
Ufer heran
Der Weiher sich kräuselt im Lichterschein,
Umgeben von Farnen und Sträuchern
Und schwarzen Kiefern.
Der Weiher sich kräuselt im Lichterschein,
Umgeben von Farnen und Sträuchern
Und schwarzen Kiefern.
Einsam im Dunkel des
Waldes sodann
Huschen Schatten umher, wo sonst
Huschen Schatten umher, wo sonst
Eragon legte den Blumenstrauß auf einen niedrigen Tisch am Eingang und wollte gerade gehen. Er erstarrte, als plötzlich Arya in der Tür stand. Seine Anwesenheit schien sie zu erschrecken, doch sie verbarg das Gefühl sofort hinter einer ausdruckslosen Maske.
Sie starrten sich sekundenlang schweigend
an.
Dann nahm er den Blumenstrauß auf und
reichte ihn ihr. »Ich kann dir keine Blumen wachsen lassen wie
Fäolin, aber sie kommen trotzdem von Herzen, und es sind die
schönsten, die ich finden konnte.«
»Ich kann sie nicht annehmen, Eragon.«
»Der Strauß ist… Es ist anders gemeint, als
du denkst.« Er stockte. »Es ist keine Entschuldigung, aber mir war
nicht bewusst, dass mein Wunschbild dich derart in Verlegenheit
bringen würde. Es tut mir aufrichtig Leid und ich möchte dich um
Verzeihung bitten, Arya... Ich wollte nur ein Fairith herstellen,
keinen Ärger vermusst nicht befürchten, dass ich sie
vernachlässige, um dir den Hof zu machen.« Er schwankte leicht und
lehnte sich an die Wand - ihm war zu schwindlig, um sich ohne
Stütze auf den Beinen zu halten. »Das ist alles.«
Sie sah ihn lange an, dann streckte sie
langsam die Hand aus, nahm den Strauß entgegen und roch daran.
Dabei sah sie ihn unverwandt an. »Er duftet herrlich«, sagte sie.
Sie schaute kurz hinab auf seine wackeligen Beine, dann sah sie ihm
wieder in die Augen. »Bist du krank?«
»Nein. Mein Rücken.«
»Ich habe von deinen Problemen gehört, aber
ich dachte nicht, dass...«
Er stieß sich von der Wand ab. »Ich gehe
jetzt wohl besser.«
»Warte!« Arya zögerte kurz, dann führte sie
ihn zu dem Erker, wo er sich auf eine aus der Wand gewachsene,
gepolsterte Bank setzte. Sie nahm zwei Becher aus einem Schrank,
krümelte getrocknete Brennnesselblätter hinein, goss Wasser darüber
und ließ es aufbrühen, indem sie »Koche!« sagte.
Sie reichte Eragon einen Becher. Er
umschloss ihn mit beiden Händen, um sich daran zu wärmen. Durch das
Erkerfenster konnte man die Elfen in den königlichen Gärten
herumspazieren sehen. Sie unterhielten sich und sangen, während
über ihnen Schwärme von Glühwürmchen in der dunstigen Luft
schwebten.
»Ich wollte...«, sagte Eragon, »ich wollte,
es könnte immer so sein, so schön und friedlich.«
Arya schwenkte ihren Tee. »Wie geht es
Saphira?«
»Wie immer. Und wie geht es dir?«
»Ich bereite meine Rückkehr zu den Varden
vor.«
Ein Schreck durchfuhr ihn. »Wann willst du
denn aufbrechen?«
»Nach der Blutschwur-Feier. Ich bin schon
viel zu lange hier, aber mich grämte die Aussicht auf die lange
Reise und Islanzadi wollte mich an ihrer Seite haben. Außerdem habe
ich die Feier noch nie erlebt und es ist unsere wichtigste
Zeremonie.« Sie sah ihn über den Eragon zuckte müde mit den
Schultern. »Er hat schon alles versucht.«
Sie tranken den Tee und beobachteten die
Elfen, die in kleinen Gruppen über die Gartenwege schlenderten.
»Geht es denn trotzdem voran mit deiner Ausbildung?«, fragte
sie.
»Ja.« Sie schwiegen eine Weile. Dann nahm
Eragon den Zettel vom Fenstersims und las die Verse, als sähe er
sie zum ersten Mal. »Schreibst du häufig Gedichte?«
Arya nahm ihm den Zettel ab und rollte ihn
rasch zusammen, sodass man die Worte nicht mehr sah. »Zur
Blutschwur-Feier bringt jeder Besucher ein Gedicht, ein Lied oder
ein anderes selbst erschaffenes Kunstwerk mit und präsentiert es
den Versammelten. Ich habe gerade erst damit angefangen...«
»Ich finde die Verse sehr gelungen.«
»Wenn du dich mit Gedichten auskennen
würdest, wüsstest du, dass -«
»Ich kenne mich aus. Ich habe in letzter
Zeit viel gelesen.«
Arya hielt inne, dann nickte sie kurz und
sagte: »Verzeih mir! Du bist nicht mehr der ungebildete
Bauernjunge, den ich in Gil’ead kennen gelernt habe.«
»Nein. Ich...« Er hielt inne und drehte den
Becher in den Händen, während er nach den richtigen Worten suchte.
»Arya... du wirst Du Weldenvarden bald verlassen. Es wäre schade,
wenn ich dich heute zum letzten Mal vor deiner Abreise sähe.
Könntest du dich nicht ab und zu mit uns treffen, so wie früher,
und Saphira und mir mehr von Ellesméra zeigen?«
»Das wäre nicht klug«, sagte sie sanft, aber
bestimmt.
Er schaute zu ihr auf. »Unsere Freundschaft
kann doch nicht an meiner Unbedachtheit zerbrechen! An meinen
Gefühlen für dich kann ich nun mal nichts ändern, aber ich würde
mir lieber im Kampf gegen Durza eine weitere Verletzung holen, als
zuzulassen, dass meine Dummheit die Vertrautheit kaputtmacht, die
zwischen uns existiert hat. Mir liegt zu viel daran!«
vor sie antwortete: »Unsere Freundschaft
bleibt bestehen, Eragon. Und was gemeinsame Unternehmungen
betrifft...« Ihre Mundwinkel hoben sich zum Anflug eines Lächelns.
»Vielleicht. Wir müssen allerdings abwarten, was die Zukunft
bringt, denn ich bin sehr beschäftigt und kann dir nichts
versprechen.«
Ihm war klar, dass ihre Worte einer
Versöhnung gleichkamen. Mehr hatte er unter den gegebenen Umständen
nicht erwarten können und er war dankbar dafür. »Natürlich, Arya
Svitkona«, sagte er und neigte den Kopf.
Sie unterhielten sich noch ein paar Minuten
lang, doch es war offenkundig, dass Arya an diesem Tag nicht
willens war, weiter aus sich herauszugehen. Daher kehrte Eragon zu
Saphira zurück, hoffnungsfroh, weil er das Gefühl hatte, etwas
erreicht zu haben. Jetzt muss das
Schicksal entscheiden, wie es mit uns weitergeht, dachte
er, als er sich vor eine von Oromis’ Schriftrollen setzte.
Eragon griff in den Beutel an seinem Gürtel
und zog ein Seifensteindöschen mit Nalgask hervor - geschmolzenes
Bienenwachs mit Haselnussöl - und rieb sich damit die Lippen ein,
um sie vor dem eisigen Wind zu schützen, der ihm ins Gesicht wehte.
Er schloss den Beutel wieder, schlang die Arme um Saphiras Hals und
vergrub das Gesicht in der Armbeuge, um nicht in die grell
angestrahlten Wolken unter ihnen schauen zu müssen. Er hörte nur
das unermüdliche Auf und Ab von Saphiras Flügeln, die viel
schneller schlugen als die von Glaedr.
Schon seit Sonnenaufgang flogen sie in
Richtung Südwesten und nahmen sich dabei aber immer wieder Zeit für
halsbrecherische Übungskämpfe zwischen Saphira und Glaedr, bei
denen Eragon die Arme festschnallen musste, um bei der Schwindel
erregenden Luftakrobatik nicht hin und her geschleudert zu werden.
Hinterher befreite er sich jedes Mal, indem er die Lederschlaufen
mit den Zähnen löste.
Der Flug endete am frühen Nachmittag an
einer Gruppe von vier Bergen, die den Wald weit überragten. Es
waren die ersten Berge, die Eragon in Du Weldenvarden zu Gesicht
bekam. Die schroffen, windumtosten Gipfel durchstießen die
Wolkendecke und reckten ihre zerfurchten Flanken der Sonne
entgegen, deren Strahlen in dieser Höhe jedoch keine wärmende
Wirkung hatten.
Diese Berge sind
winzig, verglichen mit dem Beor-Gebirge!, sagte
Saphira.
So wie er es sich in der Meditation
angewöhnt hatte, schickte Eragon seinen Geist in alle Richtungen
aus und suchte nach feindlich gesinnten Geschöpfen. Doch er
entdeckte lediglich ein Murmeltier in seinem warmen Bau, Raben,
Blauspechte und Falken, mehrere Eichhörnchen, die zwischen den
Bäumen umherflitzten, und weiter unten am Berg Felsvipern, die sich
auf der Suche nach Mäusen und Insekten durch die Büsche
schlängelten.
Als Glaedr am ersten Berg auf einem flachen
Felsvorsprung aufsetzte, musste Saphira warten, bis der alte Drache
die mächtigen Schwingen angelegt hatte, bevor sie genug Platz zum
Landen hatte. Der mit steinernem Geröll übersäte Boden, auf dem sie
standen, schimmerte gelblich von den harten, spröden Flechten, die
ihn bedeckten. Über ihnen ragte eine steile schwarze Felswand
empor. Sie wirkte wie eine Schutzmauer oder ein Damm für das Gesims
aus bläulichem Eis, aus dem im stürmischen Wind immer wieder
riesige gezackte Brocken herausbrachen und weiter unten auf dem
Granit zerschellten.
Dieser Gipfel heißt
Fionula, sagte Glaedr. Und
seine Brüder heißen Ethrundr, Merogoven und Griminsmal. Jeder hat
seine eigene Geschichte, die ich euch später auf dem Rückflug
erzähle. Aber erst einmal erkläre ich euch den Zweck dieser Reise,
nämlich das Wesen der Bande zwischen Drachen und Elfen und später
auch Menschen. Ihr wisst schon einiges darüber - und gegenüber
Saphira habe ich bereits ein paar weiter reichende Andeutungen
gemacht -, doch nun ist der Zeitpunkt gekommen, da ihr die wahre,
heilige Bedeutung eurer Partnerschaft begreifen müsst, damit ihr
die Tradition fortfürhen könnt, wenn Oromis und ich einmal nicht
mehr sind.
Meister?, fragte
Eragon und zog den Umhang enger, um sich warmzuhalten.
Ja, Eragon?
Warum ist Oromis nicht
mitgekommen?
Weil dies meine Aufgabe
ist, brummte Glaedr. Es war immer
die Aufgabe des älteren Drachen, der jüngsten Reiter-Generation
begreiflich zu machen, wie bedeutsam ihre Stellung ist. Außerdem
geht es Oromis nicht gut.
Der Fels ächzte und knirschte, als Glaedr
sich inmitten des Steingerölls zusammenrollte und den
majestätischen Kopf neben Saphira und Eragon auf den Boden legte.
Er schaute sie aus einem goldenen Auge an, das so groß war wie ein
polierter Rundschild und um ein Vielfaches heller schimmerte. Graue
Rauchkringel stiegen aus seiner Nase auf und wurden sogleich vom
Wind fortgeweht.Ein Teil dessen, was ich euch
gleich berichten werde, war unter Elfen, Reitern und gebildeten
Menschen einst allgemein bekannt, doch vieles haben nur die
Anführer der Reiter, einige wenige Elfen und der jeweilige Potentat
der Menschen gewusst - und natürlich die Drachen.
Und nun hört gut zu,
meine jungen Freunde. Nachdem die Elfen und Drachen nach langen
Jahren des Krieges Frieden geschlossen hatten, rief man die
Drachenreiter ins Leben, um zu gewährleisten, dass nie wieder ein
solcher Konflikt zwischen unseren Völkern ausbrechen würde.
Elfenkönigin Tarmunora und der Drache, der uns repräsentierte - sie
hieß…
Glaedr hielt inne und übermittelte Eragon
eine Abfolge von Bildern: einen anmutigen Drachenkopf mit
strahlenden weißen Augen, gewonnene und verlorene Luftkämpfe,
zahllose aufgefressene Shrrg und Nagras, siebenundzwanzig gelegte
Eier und neunzehn Jungdrachen, die das Erwachsenenalter erreichen
sollten. Nun ja, der Name der Drachendame
lässt sich in keiner der existierenden Sprachen aussprechen.
Jedenfalls waren sie und Tarmunora der Meinung, dass ein
gewöhnlicher Vertrag nicht ausreichen einen Drachen. Wir sind
leidenschaftliche, heißblütige Geschöpfe, und wir wären früher oder
später wieder mit den Elfen aneinander geraten, so wie über die
Jahrtausende hinweg mit den Zwergen. Doch im Gegensatz zu Letzteren
konnten wir uns keinen weiteren Krieg erlauben, genauso wenig wie
die Elfen. Wir hätten uns über kurz oder lang gegenseitig
ausgelöscht. Um das zu verhindern und um einen wirklich bedeutsamen
Pakt zu schmieden, beschlossen sie, unsere beiden Völker durch
Magie aneinander zu binden.
Eragon fröstelte. Mit leicht amüsiertem
Unterton sagte Glaedr: Saphira, wenn du
klug bist, erhitzt du den Boden, damit sich dein Reiter nicht
erkältet.
Saphira krümmte den Hals, schnaubte einen
bläulichen Feuerstrahl auf das Felsgeröll und schwärzte damit die
Flechten, die einen beißenden Gestank verströmten, als sie
verbrannten. Die ihm entgegenwallende Luft wurde so heiß, dass
Eragon sich abwenden musste. Er spürte, wie die Insekten unter den
Felsen gegrillt wurden. Als Saphira aufhörte, hinterließ ihr
Feuerstrahl eine Fläche rot glühender Steine. Dank dir, sagte Eragon. Er hockte sich daneben
und wärmte sich darüber die Hände.
Saphira, vergiss nicht,
du musst den Feuerstrahl mit der Zunge lenken, ermahnte
sie Glaedr. Also... Es dauerte neun
Jahre, bis die gescheitesten Elfenmagier den notwendigen Zauber
entwickelt hatten. Als es so weit war, kamen sie und die Drachen in
Ilirea zusammen. Die Elfen steuerten die Struktur des Zaubers bei,
die Drachen die Kraft und gemeinsam verschmolzen sie die Seelen der
beiden Völker miteinander.
Die Vereinigung hat uns
verändert. Wir Drachen fingen an, im Geiste zu sprechen und andere
Zierden der Zivilisation zu gebrauchen, während die Elfen fortan
unsere Langlebigkeit teilten - bis dahin war ihre Lebensspanne
genauso kurz wie die der Menschen gewesen. Letztlich haben sich die
Elfen stärker verändert als wir. Unsere Magie, die Drachenmagie,
die jede Faser unseres Seins durchdringt, wurde auf die Elfen
übertragen und hat ihnen im Laufe der Zeit die Kraft und Anmut
verliehen, die sie heute ausweist. Bei den Menschen hat sich unsere
Magie nicht so stark ausgewirkt, da man sie erst nachträglich in
den Zauber mit einbezogen hat und er noch nicht genug Zeit hatte,
um sie so sehr zu verändern wie die Elfen. Trotzdem - an
dieser Stelle funkelten Glaedrs Augen - hat er euch Menschen schon wesentlich sanfter werden
lassen im Vergleich zu den groben Barbaren, die einst in Alagaësia
gelandet sind. Allerdings habt ihr euch seit dem Untergang der
Reiter wieder zurückentwickelt.
Sind die Zwerge jemals
Teil dieses Zaubers gewesen?, fragte Eragon.
Nein, und deshalb hat
es auch nie einen Zwerg gegeben, der Drachenreiter wurde. Den
Zwergen liegt nichts an den Drachen und uns liegt nichts an den
Zwergen. Ihnen missfiel die Vorstellung, mit uns verbunden zu sein.
Vielleicht war es ein glücklicher Umstand, dass sie unserem Pakt
nicht beigetreten sind, denn so ist ihnen der Niedergang erspart
geblieben, der die Menschen und Elfen erfasste.
Niedergang,
Meister?, fragte Saphira in einem Tonfall, den Eragon nur
als kokett bezeichnen konnte.
Ja, Niedergang. Wenn
eines unserer drei Völker leidet, leiden auch die beiden anderen.
Indem Galbatorix die Drachen tötete, hat er auch die Menschen
getroffen, ebenso wie die Elfen. Ihr beide könnt es nicht
beurteilen, denn ihr seid erst seit kurzem in Ellesméra, aber die
Elfen sind längst nicht mehr so mächtig, wie sie einst waren, und
die Menschen haben viel von ihrer Kultur verloren und wurden von
Chaos und Korruption verzehrt. Erst wenn das Ungleichgewicht
zwischen unseren drei Völkern wiederhergestellt ist, kann Ordnung
in die Welt zurückkehren.
Der alte Drache zerrieb in seiner Pranke
einige spitze Felsbrocken zu feinem Kies, um es bequemer zu
haben. In Königin Tarmunoras Zauber war
ein Mechanismus eingewoben, der es einem Drachenjungen ermöglichte,
seinen oder ihren Reiter zu erkennen. Wenn ein Drache beschloss,
sein Ei den Reitern zu überlassen, wurden bestimmte Worte über dem
Ei gesprochen - ich bringe sie euch später bei -, die bewirkten,
dass das Junge erst dann schlüpfte, wenn man es in Kontakt mit der
Person brachte, mit der es sich zu verbinden gedachte. Da Drachen
ewig in ihren Eiern bleiben können, spielt die Zeit dabei keine
Rolle, und das Junge nimmt dabei keinen Schaden. Du selbst bist das
beste Beispiel dafür, Saphira. Die Verbindung, die zwischen Reiter
und Drache entsteht, ist nichts anderes als eine verstärkte Version
der Verbindung, die bereits zwischen unseren Völkern existiert. Der
Mensch oder Elf wird stärker und schöner, während das Ungestüm des
Drachen einer gemäßigteren Haltung weicht... Dir geht etwas durch
den Kopf, Eragon, das sehe ich dir an. Was ist es?
Nun,
ich... Er zögerte. Ich kann mir
nicht vorstellen, dass Ihr oder Saphira noch ungestümer sein
könntet... Nach einer kurzen Pause fügte er rasch
an: Nicht dass daran etwas Verwerfliches
wäre.
Der Boden erbebte wie unter einer Lawine,
als Glaedr grollend lachte und unter dem schweren Lid das riesige
Auge verdrehte. Wärst du doch je einem
ungebundenen Drachen begegnet! Ein allein lebender Drache lässt
sich von niemandem etwas befehlen. Er tut und nimmt sich, was er
will, und hegt für niemanden freundliche Gedanken außer für seine
Verwandten. Die wilden Drachen waren hitzig und stolz, ja sogar
arrogant... Die Weibchen waren so eigensinnig, dass es unter den
männlichen Drachen der Reiter als große Leistung galt, wenn sie ein
in Freiheit lebendes Exemplar begatten durften.
Da die Partnerschaft
zwischen Galbatorix und Shruikan, seinem zweiten Drachen, nicht auf
natürliche Weise zustande gekommen ist, ist die Natur ihrer
Verbindung unrein. Shruikan hat Galbatorix nicht als seinen Partner
ausgewählt, sondern wurde mit schwarzer Magie dazu gebracht, dem
wahnsinnigen Herrscher zu dienen. Galbatorix hat eine unheilvolle
Imitation der Beziehung geschaffen, die ihr beide, Eragon und
Saphira, miteinander habt und die er verloren hat, als die Urgals
seinen ersten Drachen töteten.
Glaedr verstummte und schaute unbewegt
zwischen den beiden hin und her. Was euch
beide aneinander schmiedet, ist wesentlich mehr als eine bloße
Verbindung des Geistes. Eure Seelen, eure Identitäten - wie auch
immer man es bezeichnen möchte - sind auf einer ganz elementaren
Ebene miteinander verschmolzen. Sein Blick sprang zu
Eragon. Glaubst du, die Seele einer
Person ist vom Körper getrennt?
Ich weiß
nicht, sagte Eragon. Saphira
hat mich einmal aus meinem Körper herausgeholt und mich die Welt
durch ihre Augen sehen lassen... Es kam mir vor, als wäre ich nicht
mehr mit meinem Körper verbunden. Und wenn ein Zauber bestimmte
Geister heraufbeschwören kann, dann ist vielleicht auch unser
Bewusstsein eine eigenständige, vom Körper unabhängige
Wesenheit.
Glaedr fuhr die messerscharfen Klauen an der
vorderen Pranke aus und drehte einen Felsbrocken um, unter dem eine
kleine braune Waldratte zum Vorschein kam. Seine Zunge schnellte
hervor, packte den kleinen Nager, und er schlang ihn hinunter.
Eragon zuckte zusammen, als er spürte, wie das Leben des Tieres
erlosch.
Wenn der Körper stirbt,
stirbt auch die Seele, sagte Glaedr. Aber ein Tier ist doch keine
Person, widersprach Eragon.
Nach all den Stunden
der Meditation glaubst du noch immer, dass du dich grundlegend von
dieser Waldratte unterscheidest? Dass dir eine wundersame
Eigenschaft gegeben ist, die andere Geschöpfe nicht besitzen und
die deine Seele nach dem Tod irgendwie weiterleben
lässt?
Nein, murmelte Eragon.
Das hätte mich auch
überrascht. Da wir so eng miteinander verbunden sind, müssen Drache
und Reiter, wenn einer der beiden verwundet wird, ihre Verbindung
lösen und ihre Herzen verschließen, um den Partner vor unnötigem
Leid oder gar vor dem Wahnsinn zu bewahren. Und da man die Seele
nicht vom Körper trennen kann, muss man der Versuchung widerstehen,
den Geist seines Partners im eigenen Körper aufzunehmen, denn es
würde für beide den Tod bedeuten. Und selbst wenn es ginge, wäre es
frevelhaft, mehrere Seelen im Körper zu haben.
Es ist doch furchtbar,
ganz alleine sterben zu müssen, sagte Eragon, oder auch nur von dem getrennt zu sein, der einem am
meisten bedeutet.
Jeder stirbt für sich
allein, Eragon. Ob man nun König ist oder Bettler... Niemand kann
einen in die große Leere begleiten. - So, und nun werdet ihr üben,
euren Geist blitzschnell voneinander zu trennen. Fangt an, indem
ihr...
Eragon starrte auf das Abendessen, das man
ihm ins Vestibül gestellt hatte. Es bestand aus Brot mit
Haselnussbutter, Beeren, Bohnen, einer Schale grünem Salat, zwei
hart gekochten Eiern - die gemäß der Ethik der Elfen unbefruchtet
waren - und einer verkorkten Kanne mit frischem Quellwasser. Er
wusste, dass all dies mit äußerster Sorgfalt zubereitet worden war,
dass die Elfen für seine Mahlzeiten ihr ganzes kulinarisches
Geschick aufboten und dass selbst die Königin nichts Besseres zu
essen bekam als er …
Doch er konnte den Anblick der Speisen nicht
länger ertragen.
Ich will
Fleisch, brummte er missmutig und marschierte ins
Schlafzimmer. Saphira schaute von ihrem Podest auf. Fisch oder Geflügel würde ja schon reichen, Hauptsache,
es ist etwas anderes als dieses ewige Grünzeug! Davon wird man
einfach nicht richtig satt! Ich bin doch kein Pferd! Warum sollte
ich mich also wie eines ernähren?
Saphira erhob sich, trottete zu der
tränenförmigen Wandöffnung, von der aus man auf Ellesméra
hinausblickte, und sagte: Ich habe schon
seit Tagen einen Bärenhunger. Möchtest du mich auf der Jagd
begleiten? Du kannst dir so viel Fleisch braten, wie du willst. Die
Elfen werden es nie erfahren.
Au ja!, sagte
er, und seine Miene erhellte sich. Soll
ich den Sattel holen?
Es ist nicht
weit.
Eragon packte Salz, Kräuter und einige
andere Gewürze ein und ließ sich zwischen den Stacheln auf Saphiras
Rücken nieder, ganz vorsichtig, um seinen Rücken nicht zu
überdehnen.
Sie sprang aus dem Baumhaus und ließ sich
von einem Aufwind weit über die Stadt hinauftragen, wo sie den
warmen Luftstrom verließ und einige Meilen einem gewundenen
Flusslauf zu einem Weiher folgte. Sie landete und legte sich flach
auf den Boden, um Eragon das Absteigen zu erleichtern.
Dort am Ufer sitzen
Kaninchen im Gras, sagte sie. Schau, ob du sie fangen kannst. Ich schnappe mir in der
Zwischenzeit einen Hirsch.
Wie, du willst deine
Beute nicht mit mir teilen?
Nein, will ich
nicht, erwiderte sie kratzbürstig. Außer wenn dir diese Portiönchen dort gleich alle
weghoppeln.
Er grinste, als sie aufbrach, dann wandte er
sich zum Seeufer um und machte sich daran, sein Abendessen zu
fangen.
Kaum eine Minute später holte Eragon zwei
tote Kaninchen aus ihrem Bau. Es hatte nur Augenblicke gedauert,
bis er sie mit dem Geist aufgespürt und mit einem der zwölf
Todesworte belegt hatte. Doch die Begeisterung und der
Nervenkitzel, die er früher empfunden hatte, fehlten ihm bei dieser
Art der Jagd. Ich musste mich nicht
einmal anschleichen, stellte er ernüchtert fest und
entsann sich seiner jahrelangen Bemühungen, ein geschickter
Fährtenleser zu werden. Er verzog das Gesicht. Heute könnte ich so viele Tiere erlegen, wie ich will,
aber es bedeutet mir nichts mehr. Als ich mit Brom noch mit
Kieselsteinen gejagt habe, war es wenigstens eine Herausforderung,
aber das hier... Es ist bloß noch reines Abschlachten.
Ihm fiel die Mahnung der Schmiedin Rhunön
ein: »Wenn man mit wenigen Worten alles, was man möchte,
herbeizaubern kann, ist das Ziel selbst wertlos. Nur der Weg dahin
ist dann noch von Bedeutung.«
Ich hätte ihre Worte
beherzigen sollen, wurde Eragon bewusst.
Er zückte sein altes Jagdmesser, häutete die
Kaninchen und nahm sie mit geübten Handgriffen aus; dann vergrub er
die Innereien - außer die Herzen, Lungen und Nieren -, damit der
Geruch keine Aasfresser anlockte. Anschließend hob er eine kleine
Grube aus, legte Brennholz hinein und entzündete das Feuer mit
Magie, da er seinen Zunder vergessen hatte. Er schürte das Feuer,
bis sich eine Lage Holzkohle gebildet hatte. Dann schnitt er einen
Hartriegelstock zurecht, zog die Rinde ab und hielt ihn über die
Glut, um das bittere Harz abzubrennen. Danach spießte er die beiden
Kadaver auf und hängte sie zwischen zwei in den Boden gesteckten
Gabelästen über das glimmende Feuer. Für die Organe legte er am
Rand einen flachen Stein auf die Holzkohle und rieb ihn als
behelfsmäßige Bratpfanne mit Fett ein.
Er saß am Feuer und drehte langsam den
Spieß, damit das Fleisch gleichmäßig durchbriet, als Saphira neben
ihm landete, einen erschlafften Hirsch im Maul und Reste eines
zweiten Tieres in den Klauen. Sie legte sich ins feuchte Gras und
machte sich über ihre Beute her, vertilgte den ganzen Hirsch samt
Fell. Unter ihren scharfen Zähnen knackten die Knochen wie Äste in
einem Sturm.
Als die Kaninchen gar waren, schwenkte
Eragon sie zum Abkühlen in der Luft, dann betrachtete er einen
Augenblick fasziniert das brutzelige Fleisch, dessen
verführerischer Duft seine Sinne betörte.
Als er den Mund öffnete und zubeißen wollte,
musste er unwillkürlich an seine Meditation denken. Seine
Streifzüge in den Geist der Vögel, Eichhörnchen und Mäuse fielen
ihm wieder ein, wie quicklebendig sie sich anfühlten, wie vehement
sie angesichts von Gefahr um ihr Existenzrecht
kämpften. Und wenn sie wirklich nur
dieses eine Leben haben…
Abscheu packte ihn, und er warf das Fleisch
von sich, angewidert davon, zwei Kaninchen - zwei Lebewesen - getötet zu haben. Es war, als
hätte er zwei Menschen getötet. Sein Magen rumorte, und er war kurz
davor, sich zu übergeben.
Saphira hielt beim Schlemmen inne und
schaute besorgt zu ihm herüber.
Eragon atmete tief durch und presste die
Fäuste auf die Knie, um sich zu beherrschen und um sich seine
eigene Reaktion zu vergegenwärtigen. Er hatte sein ganzes Leben
lang Fleisch gegessen! Es hatte ihm geschmeckt! Und doch machte ihn
jetzt allein der Gedanke, die Kaninchen zu essen, krank. Er sah
Saphira an. Ich kann es
nicht, sagte er.
Es ist ein Naturgesetz,
dass einer den anderen frisst. Warum sträubst du dich
dagegen?
Er dachte über ihre Frage nach. Er hatte
nichts dagegen, wenn andere Leute Fleisch aßen; er wusste, dass es
unter armen Bauern als Festmahl galt. Aber er selbst konnte kein
Fleisch mehr essen - es sei denn, er drohte ansonsten zu
verhungern. Wenn man einmal den Geist eines Kaninchens berührt und
gespürt hatte, was es empfand... Es wäre so, als würde man sich
selbst verzehren.
Weil wir uns
weiterentwickeln können, antwortete er
Saphira. Wir können nicht einfach den
Impulsen in uns nachgeben und all jene verletzen oder töten, die
uns wütend machen. Wir können nicht einfach von Schwächeren nehmen,
was wir wollen. Wir können nicht einfach die Gefühle anderer
missachten. Wir sind nun einmal unvollkommene Wesen und müssen uns
vor unseren eigenen Unzulänglichkeiten schützen, damit sie uns
nicht zerstören. Er deutete auf die
Kaninchen. Wie Oromis gesagt hat - wir
dürfen kein unnötiges Leid verursachen.
Willst du dir denn
fortan alle deine Wünsche versagen?
Nur die
zerstörerischen.
Meinst du das
ernst?
Ja.
Wenn das so
ist, sagte Saphira und trottete auf ihn
zu, esse ich diese beiden zum
Nachtisch. Sie schnappte nach den Kaninchen und schlang
sie hinunter, danach leckte sie den Stein sauber, auf dem Eragon
die Innereien gebraten hatte. Ich für
meinen Teil kann mich nicht nur von Grünzeug ernähren. Eines
Drachen Beute mag Grünzeug fressen, meinetwegen. Nicht aber der
Drache selber. Ich sehe nicht ein, warum ich mich deswegen schämen
sollte. Alles hat seinen Platz in der Welt. Selbst Kaninchen wissen
das.
Ich will dir ja kein
schlechtes Gewissen einreden, sagte er und klopfte ihr
aufs Bein. Es ist meine persönliche
Entscheidung. Ich zwinge niemanden, es mir gleichzutun.
Wie klug von
dir, sagte sie, mit einem Anflug von Sarkasmus in der
Stimme.